DER BETRIEB
Die Geoblocking-Verordnung: kleiner Schritt für digitalen Binnenmarkt

Die Geoblocking-Verordnung: kleiner Schritt für digitalen Binnenmarkt

RA Dr. Kim Manuel Künstner

Höhere Preise in Deutschland beim Online-Erwerb von Tickets für einen Freizeitpark in Frankreich? Kein Zugriff auf italienischen Webshop eines Modeanbieters wegen automatischer Umleitung? Die EU will dies mittels Geoblocking-Verordnung unterbinden.

RA Dr. Kim Manuel Künstner
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Am 20.11.2017 einigten sich EU-Parlament, Rat und Kommission auf eine vorläufige Fassung eines Verordnungstextes zu Geoblocking und anderen Ungleichbehandlungen aufgrund der Nationalität, des Wohnorts oder Sitzes. Geoblocking bezeichnet den Sonderfall der Ungleichbehandlung beim grenzüberschreitenden Online-Shopping, entweder weil ein Nutzer insgesamt das Angebot nicht nutzen kann oder gegenüber Verbrauchern aus anderen Mitgliedstaaten anders behandelt wird („Geofiltering“).

Die EU-Kommission hat 2015 sowohl eine öffentliche Konsultation zum Geoblocking als auch eine Sektoruntersuchung e-Commerce eingeleitet, in deren Rahmen Geoblocking untersucht wurde. Demnach nutzten 38% der teilnehmenden Konsumgüterhändler (Elektronik, Mode, Sportartikel) Geoblocking, hauptsächlich in Form von Beschränkungen der Liefergebiete, Ablehnung von Bezahlmitteln aus anderen Mitgliedstaaten oder automatischen Weiterleitungen auf den Webshop des Mitgliedstaates, in welchem sich der Verbraucher aufhält. 12% der Händler gaben an, aufgrund vertraglicher Verpflichtungen der Hersteller Geoblocking zu nutzen.

Aufgrund dieser Ergebnisse strebt die EU an, Geoblocking zur Verwirklichung des digitalen Binnenmarktes anhand der oben genannten Verordnung zu regulieren.

Geoblocking und der digitale Binnenmarkt

Die Verwirklichung des digitalen Binnenmarktes gehört zu den Prioritäten der derzeitigen EU-Kommission; mit Andrus Ansip ist einer ihrer Vize-Präsidenten ausschließlich für dieses Thema zuständig.

Mit dem digitalen Binnenmarkt besinnt sich die EU auf ihre Wurzeln zurück. Sie entstand als Wirtschaftsgemeinschaft. Bis heute wirkt sie durch Abbau bzw. Verhinderung regulatorischer Hemmnisse des zwischenstaatlichen Handels. Von freiem Warenverkehr sollen nicht zuletzt die Verbraucher profitieren. Anschaulich hierfür ist das Beispiel der reimportierten Pkw. Insbesondere in den 90er Jahren machten sich Verbraucher Wechselkursschwankungen zunutze und erwarben ins EU-Ausland exportierte Pkw, die beispielsweise in Italien deutlich günstiger waren als in Deutschland. Die Automobilhersteller übten teilweise Druck auf Händler aus, um Reimporte zu unterbinden. Dies wurde von der Kommission als kartellrechtswidrige Verhaltensweise eingestuft und untersagt.

Mit der Erweiterung des Binnenmarktes auf die digitale Ebene wendet sich die EU nunmehr den technologischen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel zu. Das Internet hat die Art und Weise verändert, wie die europäischen Verbraucher einkaufen. Der Onlinevertrieb ermöglicht es, Waren auch in Regionen anzubieten, in denen der Anbieter keine physische Präsenz hat. Geringere Suchkosten und höhere Reichweiten bedeuten mehr Anbieter, unter denen der Verbraucher wählen kann. Dies intensiviert den Wettbewerb, und Verbraucher können von möglichen Preisgefällen profitieren. Der Verbraucher muss sich hierfür nicht in einen anderen Mitgliedstaat begeben, sondern kann sich beliefern lassen.

Kartellrechtlich verbotenes Geoblocking

Geoblocking steht der freien Wahl aus den Onlineanbietern in der EU häufig entgegen. Die deutlichste Konstellation ist der digitale Wiedergänger des Verbots der Reimporte von Pkw: die Kommission hat im Rahmen ihrer Sektoruntersuchung e-Commerce-Fälle identifiziert, in denen Hersteller ihren Händlern untersagt haben, Kunden aus anderen Mitgliedstaaten zu beliefern. Dies stellt eine kartellrechtlich unzulässige Beschränkung des passiven Verkaufs dar und kann untersagt sowie sanktioniert werden.

Neue Geoblocking-Verbote nach der Verordnung

Über diese kartellrechtlich relevanten Fälle hinaus erfasst die neue Verordnung auch weitere Praktiken:

  1. Das Anbieten unterschiedlicher Preise für elektronische Dienstleistungen oder Leistungen, die vor Ort erbracht werden (z.B. Eintritt in einen Freizeitpark).

  2. Eine automatische Umleitung auf den Webshop des Mitgliedstaates, in welchem der Verbraucher ansässig ist, sofern keine ausdrückliche Zustimmung des Verbrauchers vorliegt.

  3. Die Sperrung oder Erhebung einer Extragebühr für generell zugelassene Zahlungsmittel, weil dieses aus einem anderen Mitgliedstaat stammt (z.B. „deutsche“ Kreditkarte). Händler bleiben jedoch bei der generellen Auswahl der zugelassenen Zahlungsmittel frei.

Allerdings erfasst die Verordnung nicht alle Geoblocking-Maßnahmen, so dass folgende Anwendungsbeschränkungen hervorzuheben sind:

  1. Geschützt werden nur Verbraucher, nicht jedoch Wiederverkäufer. Damit sollen erlaubte selektive Vertriebssysteme geschützt werden.

  2. Unterschiedliche Konditionen bleiben möglich, sofern Anknüpfungspunkte hierfür nicht die Staatsangehörigkeit, der Wohnort oder der temporäre Aufenthaltsort des Verbrauchers ist.

  3. Keine Anwendung auf urheberrechtlich geschützte digitale Inhalte, d.h. insbesondere Streamingdienste wie Netflix sind ausgenommen.

Nach dem Entwurf der Kommission wären diese Verhaltensweisen von der Verordnung noch erfasst gewesen. Insbesondere die Mitgliedstaaten wehrten sich hiergegen und fügten in den nunmehr abgestimmten Entwurf erhebliche Einschränkungen ein.

Fazit: kleiner Schritt für Binnenmarkt, kein Zwang zum zwischenstaatlichen Handel

Die Geoblocking-Verordnung statuiert damit keinen allgemeinen Zwang für Händler, in andere Mitgliedstaaten zu liefern. Ein Verbraucher kann bei einer Bestellung über den Onlineshop in einem anderen Mitgliedstaat nicht verlangen, dass die Ware zu ihm nach Hause geliefert wird. Er kann jedoch eine Zustellung an eine Adresse in einem Mitgliedstaat verlangen, in den der Händler ohnehin liefert. Abholung oder Transport muss der Verbraucher dann selbst übernehmen.

Insgesamt kann die Geoblocking-Verordnung daher allenfalls größere Unschärfen der willkürlichen Differenzierung nach Wohnort oder Aufenthaltsort des Verbrauchers ausschließen. Einen grenzenlosen digitalen Handel innerhalb des Binnenmarktes ermöglicht sie nicht.

Es wird erwartet, dass die Verordnung rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft 2018 in Kraft tritt. Nach zwei Jahren wird eine Evaluierung erfolgen. Für den digitalen Binnenmarkt ist die Geoblocking-Verordnung allenfalls ein kleiner Schritt. Für die Händler ist sie jedoch durchaus mit Aufwand verbunden.