DER BETRIEB
Koalitionsvertrag: Was wird aus der sachgrundlosen Befristung?
Das Ende der sachgrundlosen Befristung oder angemessene Beschränkung?

Koalitionsvertrag: Was wird aus der sachgrundlosen Befristung?

Das Ende der sachgrundlosen Befristung oder angemessene Beschränkung?

RA/FAArbR Martin Fink

Die Hängepartie um eine neue deutsche Regierung ist zu Ende. Das damit verbundene Aufatmen mündet allerdings unmittelbar in die Frage, was von der neuen Großen Koalition zu erwarten ist. Diese Frage ist aus einer arbeitsrechtlichen Perspektive besonders interessant, da die Befristung von Arbeitsverhältnissen bereits Gegenstand intensiver Meinungsverschiedenheiten war.

RA/FAArbR Martin Fink
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Die Regierungsparteien haben den Koalitionsvertrag nach Zustimmung der SPD-Mitglieder unterzeichnet. Dieser Koalitionsvertrag legt den Fahrplan der Vorhaben der neuen Regierung fest. Bereits den Verhandlungen über diesen Koalitionsvertrag war zu entnehmen, dass die SPD ihr sozialdemokratisches Profil deutlich schärfen will. Da die sachgrundlose Befristung schon lange kritisch beäugt wird, soll diese in der nächsten Legislaturperiode reformiert werden. Unter der Überschrift „Gute Arbeit“ befasst sich dieser Koalitionsvertrag auch mit den beabsichtigten Änderungen der sachgrundlosen Befristung.

Abschaffung des „Missbrauchs“ bei Befristungen – ist das notwendig?

Die Regierungsparteien formulieren diesbezüglich, dass sie den Missbrauch bei Befristungen abschaffen wollen. Deshalb dürfen Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten nur noch maximal 2,5% der Belegschaft sachgrundlos befristen. Bei Überschreiten dieser Quote gelte jedes weitere sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis als unbefristet zustande gekommen. Die Quote soll jeweils auf den Zeitpunkt der letzten Einstellung ohne Sachgrund zu beziehen sein. Darüber hinaus soll die Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes nur noch für die Dauer von 18 statt bislang von 24 Monaten zulässig sein. Bis zu dieser Gesamtdauer sei auch nur noch eine einmalige statt einer dreimaligen Verlängerung möglich.

Da sich die SPD schon in der letzten Legislaturperiode als durchsetzungsstark erwiesen hat – jedenfalls was arbeitsrechtliche Themen anbetrifft – ist zu befürchten, dass auch diese Beschränkungen die Praxis tatsächlich ereilen werden. Zu erinnern ist hinsichtlich der realisierten arbeitsrechtlichen Vorhaben in der letzten Legislaturperiode beispielsweise an die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns oder die Reform der Leiharbeit. Folglich werden sich insbesondere Unternehmen mit diesem Vorhaben auseinanderzusetzen haben.

Zu allererst stellt sich die (berechtigte) Frage, ob denn tatsächlich ein genereller Missbrauch der Befristung vorherrscht, der eine solch generelle und erhebliche Einschränkung von sachgrundlosen Befristungen notwendig macht. Ein derartiger struktureller Missbrauch, der die Einschränkung der seit Jahren bewehrten sachgrundlosen Befristung erforderlich machen würde, ist in der freien Wirtschaft allerdings keineswegs ersichtlich. Wenn sich die Arbeitsgerichte oder der EuGH mit Fällen zu befassen hatten, in denen die Befristungsmöglichkeiten umfassend ausgeschöpft wurden, waren dies häufig Fälle der öffentlichen Verwaltung (beispielsweise von Kommunen, Bundesländern oder Gerichten). Berufsgruppen wie Lehrer oder Mitarbeiter im Wissenschaftsbereich sind hiervon besonders betroffen. Wenn die Koalitionsparteien eine eingehende Analyse im Hinblick auf den möglichen Befristungsmissbrauch erstellt hätten, hätte deutlich werden müssen, dass eine Gesetzesänderung nicht notwendig ist. Vielmehr hätte es ausgereicht, vor allem auf den Bereich der öffentlichen Verwaltung einzuwirken, um die dort zum Teil vorherrschende Praxis der Befristungen zu ändern. Die Unternehmen hätten nicht pauschal insoweit mit einbezogen werden müssen.

Die sachgrundlose Befristung ist ein bewehrtes Instrument

Tatsächlich stellt die sachgrundlose Befristung eine der wenigen Flexibilisierungsmöglichkeiten im deutschen Arbeitsrecht dar, die vor dem Hintergrund des strikten Bestandsschutzes von Arbeitsverhältnissen dringend notwendig ist. Nur so kann einigermaßen die Balance in der Praxis der Unternehmen gehalten werden, um in gewissem Maße noch auf Unwägbarkeiten beispielsweise im Geschäftsverlauf oder bei Zweifeln über die persönliche Eignung des Arbeitnehmers reagieren zu können. In diese Praxis wird durch die geplante Neuregelung eingegriffen werden.

Ist die geplante Änderung praktikabel?

Die mit dem Arbeitsrecht befasste Praxis ist mit zahlreichen Grenzwerten vertraut. Sei es, ob ein Betriebsrat gegründet werden kann (5 Arbeitnehmer), das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet (10 Arbeitnehmer), ein Sozialplan erzwingbar ist (20 Arbeitnehmer) oder ein Wirtschaftsausschuss zu bilden ist (100 Arbeitnehmer). Diese Aufzählung ließe sich beinahe endlos verlängern. Nunmehr soll sich also die Praxis mit einem Grenzwert von 75 Beschäftigten im Bereich der Befristung befassen. Der Praxis wird es auch insofern nicht leicht gemacht, da die Bezugseinheit bei den verschiedenen Grenzwerten ständig wechselt. Zum Teil wird auf den Betrieb abgestellt, allerdings oft auch auf das Unternehmen. Die neue Regelung hinsichtlich der sachgrundlosen Befristung soll ausweislich des Wortlauts des Koalitionsvertrags auf das Unternehmen abstellen.

Wenn der Grenzwert von 75 Beschäftigten erreicht ist – was in Grenzfällen durchaus schwierig zu berechnen sein kann (z.B. Wie sind Mitarbeiter in Teil-, Eltern- oder Altersteilzeit zu berücksichtigen?) – haben die Unternehmen die Zahl der sachgrundlos befristet beschäftigten Arbeitnehmer zu überwachen. Anderenfalls ist es nicht möglich, den Anteil der befristet Beschäftigten an der Gesamtbelegschaft nicht über die Schwelle von 2,5% ansteigen zu lassen. Letztlich haben die Unternehmen stichtagsgenau vor Abschluss eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags zu prüfen, wie groß der Anteil dieser Beschäftigtengruppe an der Gesamtbelegschaft ist. Wenn dieses Zahlenwerk nicht permanent aktuell gehalten wird, was Ein- und Austritte anbetrifft, aber auch die Zahl der sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisse, kann dies erhebliche Auswirkungen haben. Das sachgrundlos befristet abgeschlossene Arbeitsverhältnis gilt dann als unbefristet zustande gekommen. Regelmäßig wird diese Rechtsfolge erst erkannt werden, wenn die Befristung endet oder bereits geendet hat. Da nach sechs Monaten des Bestehens des Arbeitsverhältnisses die Wartezeit nach dem Kündigungsschutzgesetz abläuft, ist danach dann der allgemeine Kündigungsschutz zu beachten und das Arbeitsverhältnis wirksam nur kündbar, falls entsprechende Gründe dies sozial rechtfertigen. Regelmäßig wird den Arbeitgebern eine derartige Kündigungsbegründung nicht gelingen, was die Notwendigkeit des sorgfältigen Umgangs mit sachgrundlosen Befristungen und der entsprechenden Schwelle von 2,5% verdeutlicht.

Ein Ende auf Raten?

Die SPD forderte in den Koalitionsverhandlungen, dass die sachgrundlose Befristung vollständig abgeschafft wird. Die Koalitionsparteien konnten sich in den Verhandlungen auf die dargestellte Regelung im Wege des Kompromisses einigen. Gleichwohl stellt sich die berechtigte Frage, ob durch die erheblichen Einschränkungen, dem damit verbundenen Verwaltungsaufwand und die möglichen Fehlerfolge die sachgrundlose Befristung in den Unternehmen noch als praktikables Mittel angesehen wird. Ich habe meine Zweifel, ob dies tatsächlich noch der Fall sein wird.

Letztlich müssten Unternehmen, beispielsweise wenn sie mehrere Betriebe unterhalten, sicherstellen, dass vor Unterzeichnung eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags eine Abstimmung oder jedenfalls eine Überwachung dahingehend erfolgt, dass nicht in anderen Betrieben möglicherweise gleichzeitig sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse eingegangen werden. In Unternehmen mit 200 Mitarbeitern dürften gerade einmal fünf Arbeitsverhältnisse sachgrundlos befristet werden, was die starke Begrenzung dieser Flexibilisierungsmöglichkeit verdeutlicht. Beim Abschluss eines jeden einzelnen sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisses ist dann darauf zu achten, ob die maßgebliche Zahl der noch zulässigen sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisse unterschritten, erreicht oder gerade überschritten wird. Dies ist kaum praktikabel und ist letztlich nur vor dem Hintergrund verständlich, dass an sich von der SPD eine gänzliche Abschaffung der sachgrundlosen Befristungsmöglichkeit beabsichtigt war. Es ist zu befürchten, dass dies nun über den gefundenen Kompromiss leider beinahe erreicht wird.