DER BETRIEB
Und noch einmal: EuGH zur dynamischen Bezugnahme nach Betriebsübergang

Und noch einmal: EuGH zur dynamischen Bezugnahme nach Betriebsübergang

Entscheidungen des EuGH vom 27.04.2017 – Rs. C-680/15 und C-681/15

RA/FAArbR Dr. André Zimmermann, LL.M.

Die von manchen erhoffte große Revolution ist ausgeblieben: Der EuGH hat bestätigt, dass eine im Arbeitsvertrag enthaltene dynamische Bezugnahme auf Tarifverträge nach einem Betriebsübergang ihre Dynamik behält, sofern das nationale Recht sowohl einvernehmliche als auch einseitige Anpassungsmöglichkeiten für den Erwerber vorsieht.

RA/FAArbR Dr. André Zimmermann, LL.M.
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BAG-Rechtsprechung zu dynamischen Bezugnahmeklauseln

Dass dynamische Bezugnahmeklauseln nach einem Betriebsübergang ihre Dynamik behalten, entspricht gefestigter Rechtsprechung des BAG (vom 18.04.2007 – 4 AZR 652/05, DB 2007 S. 1982) – jedenfalls für Arbeitsverträge, die ab dem 01.01.2002 geschlossen wurden. Auch der nicht tarifgebundene Betriebserwerber ist an die Dynamik gebunden und musste daher vor allem Tariflohnerhöhungen an die Mitarbeiter weitergeben, obwohl er selbst mangels Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband nicht an den Tarifverhandlungen mitwirkte.

Erwerber, die keine sorgfältige Due Diligence durchgeführt hatten, sahen sich nicht selten Lohnforderungen ausgesetzt, die nicht in den Business Case einkalkuliert waren. Auch erschwerte diese Rechtsprechung die Harmonisierung der Arbeitsbedingungen nach dem Erwerb, da eine Beseitigung der dynamischen Bezugnahme praktisch nur durch individuelle Änderungsvereinbarung möglich ist. Schließlich ist der administrative Aufwand nicht zu unterschätzen, einem Teil der Belegschaft die tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen zu gewähren, einem anderen Teil nicht.

Europarechtliche Zweifel in der Rechtssache Alemo-Herron

Diese Rechtsprechung war 2013 in Frage gestellt worden durch die Alemo-Herron-Entscheidung des EuGH (vom 18.07.2013 – Rs. C-426/11, DB 2013 S. 1851; vgl. dazu Forst, DB 2013 S. 1847). Hier hatte das Gericht in einem britischen Vorlageverfahren entschieden, dass eine Klausel, die

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dynamisch auf nach dem Zeitpunkt des Unternehmensübergangs verhandelte und geschlossene Kollektivverträge verweist und dem Erwerber die Möglichkeit nimmt, im Rahmen eines zum Vertragsschluss führenden Verfahrens seine Interessen wirksam geltend zu machen und die Entwicklung der Arbeitsbedingungen seiner Arbeitnehmer bestimmenden Faktoren auszuhandeln, die Vertragsfreiheit des Erwerbers reduziert und den Wesensgehalt seines Rechts auf unternehmerische Freiheit beeinträchtigen kann. Hier komme es nur zu einer statischen Fortgeltung –also zur Geltung der Tarifverträge in der Fassung, in der sie im Zeitpunkt des Betriebsübergangs gegolten haben. Spätere Lohnerhöhungen müssten nicht weitergegeben werden.

Das Asklepios-Vorlageverfahren

Daraufhin war die ständige Rechtsprechung des BAG teilweise in Frage gestellt worden im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit Unionsrecht. Das hatte das BAG Anfang 2016 zur Einleitung des Vorlageverfahrens veranlasst (BAG vom 17.06.2015 – 4 AZR 61/14 (A), DB 2016 S. 538; vgl. auch Haußmann, DB 2015 S. 1605).

In diesem Verfahren sind die Kläger in einem Krankenhaus beschäftigt, das sich früher in kommunaler Trägerschaft befand. Das erklärt, warum die Arbeitsverträge auf bestimmte Tarifverträge des öffentlichen Dienstes in der „jeweils geltenden Fassung“ Bezug nehmen. Später übernahm Asklepios die Klinik im Wege eines Asset Deals, sodass Asklepios nach § 613a BGB in die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen eintrat. Die Klinikgruppe gehört selbst keinem Arbeitgeberverband an, ist daher auch nicht an die maßgeblichen Tarifverträge gebunden. Tariflohnerhöhungen gewährte Asklepios den Klägern nicht, wandte die Tarifverträge aber statisch an, also in der Fassung zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs. Zu Unrecht, wie jetzt geklärt ist.

Generalanwalt: Zeitliche Beschränkung der dynamischen Verweisung

Bemerkenswert ist, dass das Gericht die abweichende Auffassung des Generalanwalts nicht einmal erwähnt, die vor dem Hintergrund der Alemo-Herron-Entscheidung wenig überraschend ausfiel. Nach Ansicht des Generalanwalts können Arbeitnehmer nach Betriebsübergang keine Tariflohnerhöhungen auf Basis des in Bezug genommenen Tarifvertrages geltend machen. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Betriebserwerber nicht selbst Mitglied eines Arbeitgeberverbandes ist und mit den übernommenen Arbeitnehmern keine gesonderten Regelungen hierzu trifft.

Der Gerichtshof der EU argumentiert dagegen, dass die Betriebsübergangsrichtlinie (RL 2001/23/EG) so auszulegen sei, dass sich aus dem Arbeitsvertrag ergebende Pflichten vollumfänglich auf den Erwerber übergehen. Der Erwerber sei daher auch an die Dynamik der Bezugnahme gebunden. Die nach nationalem Recht vorgesehenen Anpassungsmöglichkeiten, die das BAG kurz in seiner Vorlage skizziert hatte, schützten seine Interessen und Grundrechtspositionen hinreichend.

Lösung: Änderungskündigung oder Fremdbestimmtheit?

In der Praxis sind die in der Vorlagefrage genannten und vom EuGH als ausreichend empfundenen einseitigen Anpassungsmöglichkeiten ihrer Wirksamkeit jedoch weitgehend beraubt. Darauf hatte die Beklagte im Ausgangsverfahren ganz zutreffend hingewiesen. Eine wirksame Änderungskündigung zur Beendigung einer dynamischen Bezugnahme dürfte Seltenheitswert haben vor deutschen Arbeitsgerichten. Der EuGH bügelte diesen Einwand damit ab, dass es nicht an ihm sei, hierüber zu entscheiden. Das sei Sache der nationalen Gerichte, da es um Auslegung von nationalem Recht gehe. Es bleibt damit abzuwarten, ob die Rechtsprechung mit Blick auf die Entscheidung des EuGH die Messlatte senkt. Jedenfalls liefert die Entscheidung entsprechendes Argumentationspotenzial für die Arbeitgeberseite.

Für die Due Diligence vor dem Betriebsübergang und die Harmonisierung der Arbeitsbedingungen nach Betriebsübergang bleibt damit vorerst alles beim Alten. Vorsichtige Unternehmen werden sich ohnehin noch nicht auf der Grundlage der Schlussanträge des Generalanwalts darauf eingestellt haben, dass sie künftig Tarifverträge nur statisch zur Anwendung bringen.